Strenge Form im Dschungel winziger Zeichen
Sebastian Rug vermittelt in der Galerie Werner Klein die hohe Kunst der exakten LinienfĂŒhrung
Von Ferne betrachtet wirkt eine Ausstellung mit Arbeiten von Sebastian Rug wie eine Reihung grauer Din-A4-BlĂ€tter. Erst wenn man sich diesen Wunderwerken der Zeichenkunst konzentriert zuwendet, lĂ€sst sich ihre Struktur betrachten. Warum ist das, was man hier siehtâ und vor allem das, was man nicht sehen kann â so wunderlich?
Weil die Spuren des Bleistifts aus Punkten und Linien so mikroskopisch klein sind, dass man sich unwillkĂŒrlich fragt, ob der 49-jĂ€hrige, in Potsdam lebende KĂŒnstler mit der
Lupe arbeitet. âNeinâ, versichert Werner Klein, in dessen Galerie die âNeuen Zeichnungenâ von Sebastian Rug prĂ€sentiert werden, alle Arbeiten wĂŒrden mit bloĂem Auge hergestellt.
Diese Bilder wollen mit Geduld erkundet werden. Dicht wie die FĂ€den feinster Stoffe kreuzen sich ihre Linien. Zeit wird hier in Materie verdichtet.
Das Auge kann den Zeichen nur stellenweise folgen und schert dann aus, da die Vielzahl der Spuren auf dem Papier eine lĂ€ngere Verfolgung des Blicks nicht zulĂ€sst. Das ist keine optische Spielerei, sondern eine Akkumulation von Substanz. TatsĂ€chlich kommt man bei der Betrachtung dieser Bilder nie an ein Ende. Rug fĂŒhrt sein Publikum an Grenzen der Wahrnehmung. FĂŒr ihn selbst stellt die Grenzziehung allerdings auch eine Herausforderung dar. Denn die Zeichnungen enthalten auf dem Blatt stets einen weiĂen Rand. Wie graue TĂ€felchen scheinen sie in den weiĂen Untergrund eingelegt zu sein. Das Gewebe der Linien und Punkte muss jedoch immer wieder beginnen und enden, damit sich ein Rechteck ergibt. In dieser Anstrengung, etwas in Angriff zu nehmen und es im richtigen Moment wieder loszulassen, wird ein Lebensthema berĂŒhrt.
In ihrer Gegenstandslosigkeit verweisen diese flĂ€chigen Gewebe auf die Geste ihrer Herstellung. Der Wille, eine Spur zu hinterlassen, entĂ€uĂert sich dabei nicht in der groĂen Geste, sondern erhĂ€lt seine PrĂ€senz in der Stetigkeit.
Und die gewinnt ihren Nachdruck in der groĂen Formstrenge, mit der Sebastian Rug den scheinbaren Dschungel der Zeichen bĂ€ndigt. Mit der Konzentration, die es braucht, um sich diesen Bildern zu nĂ€hern, erzeugen sie eine Stille, die metaphysische Dimension besitzt.
Thomas Linden
in: Kölnische Rundschau, 10. Oktober 2023